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Animalität

Animalitäten übten stets eine große Faszination auf Vilém Flusser aus, insbesondere Meeresbewohner. Der wohl berühmteste von ihnen ist die Hauptfigur seines sonderbaren Buches Vampyroteuthis infernalis (1987), ein gigantischerTinten- sch, der in abgründigen Höhlen am Meeresboden lebt und sich der Biolumineszenz bedient, um sich in dieser absoluten Dunkelheit bewegen zu können. Das Interesse an der Animalität tritt bei Flusser spätestens seit 1964 zutage. In seinem Artikel „Um Mundo Fabuloso“ [Eine fa- belhafte Welt], veröffentlicht in der Zeitung O Estado de São Paulo (1964, wiederabgedruckt in: Ficções Filosó cas, 1998), stellt sich die Erfahrung mit demTier bereits in einerWeise dar, die für das gesamte Flusser’sche Werk kennzeichnend werden sollte: als Gespräch zwischen dem einzelnen Menschen und seinen diversen möglichen Antipoden. Bei ihrer Gegenüberstellung innerhalb einer Debatte über evolutionäre Überlegenheit weisen der Tinten sch, der Bandwurm und der menschliche Embryo jeweils Eigenschaften auf, die ihnen die Auszeichnung größter Perfektion einbringen können. Mittels Mechanismen der logischen Umkehrung und durch die ständige Thematisierung der Eigentümlichkeiten animalischen Lebens hinterfragt der Philosoph eine Reihe von humanistischen Bedingungen, die das abendländische Denken imVerlauf des größtenTeils seiner Geschichte kennzeichneten.

In seinem Buch Vampyroteuthis infernalis verwendet Flusser denTinten sch als allegorische Gestalt einer möglichen, durch dieTechnologien veränderten Zukunft des Menschen. Hier ver- wandelt sich die Biologie in ein philosophisches Instrument, „weil sie uns ein geradezu mythisches Modell für die in uns noch nicht verwirk- lichten Möglichkeiten bietet“ (Vampyroteuthis infernalis, 2002, S. 70). DasTier erscheint damit als Figuration von zukünftigen und technologischen (posthumanen) Möglichkeiten wie auch als Andersheit, die uns Respekt und Bewunderung abfordert. In diesem Sinn könnte man sagen, Flusser bearbeitet Fragen, die erst Ende der 1990er-JahreTeil des allgemeinen theoretischen Repertoires der Geisteswissenschaften wurden: Posthumanismus und Animal Studies.

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de/animality.txt · Zuletzt geändert: 2021/11/05 17:51 von 127.0.0.1