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Geste

„Gesten sind Bewegungen des Körpers, die das Sein ausdrücken. An ihnen lässt sich die Art und Weise ablesen, wie die gestikulierende Person in der Welt ist […].“ (Gesten, 1991, S. 79).

Gesten sind Handlungen, durch die Haltungen wahrgenommen werden können, und jede besitzt eine ihr eigene Struktur, die „eine Art des Seins“ (ebd., S. 39) ausdrückt. Die Geste des Fotografierens zum Beispiel drückt Zweifel und Selbstbestimmung aus. „Diese neue Lebenseinstellung, nicht Subjekt, sondern Projekt zu sein, drückt sich in unseren Gesten aus.“ („Fotografieren als Lebenseinstellung“, in: Standpunkte, 1998, S. 179) Aber Gesten haben auch eine Wirkung auf das In-der-Welt-Sein des Menschen: „Die Geste […] erzeugt […] Bewusstsein […].“ (Does Writing Have a Future?, 2011, S. 7; übersetzt aus dem Englischen) Vilém Flusser zeigt in dem Manuskript Das Abstraktionsspiel, wie die Abfolge von kulturell-technischen Gesten zu ganz unterschiedlichen Seinsweisen geführt hat.

„Geste“ ist der allgemeine, übergeordnete, übergreifende Begriff für eine Vielzahl menschlicher Verhaltensweisen, auch für die der Kommunikation. Flusser versucht daher, „die Kommunikationstheorie […] unter eine allgemeine Theorie der Gesten einzuordnen“ („Für eine allgemeine Theorie der Gesten“, in: Gesten, S. 218).

Eine Geste drückt eine Absicht aus. Sie ist nicht immer kausal erklärbar, aber sie kann durchaus phänomenologisch in ihren relationalen Zusammenhängen beschrieben werden. Eine „Phänomenologie der menschlichen Gesten“ (Into the Universe of Technical Images, 2011, S. 153) führt zur Kontextualisierung menschlicher Handlungen und Wünsche. Der Mensch verwirklicht sich in seinen Gesten, und seine Gesten können in der Summe mit sich selbst gleichgesetzt werden. „Wir sind Gesten. Und als solche begegnen wir dem Geschehen, begegnen wir der Welt, in der wir gestikulieren, die durch uns gestikuliert, und die wir 'meinen'.“ (Gesten, S.97)

„Wir beginnen, die Welt als die Welt zu begreifen, in der wir leben, in der wir uns bewegen, die mit uns umgeht und von uns umgangen wird; und wir beginnen, den Menschen, einschließlich seiner Manipulation von Gegenständen, als eine Pantomime dieser Welt um uns zu begreifen. Wir glauben nicht mehr, dass wir Gesten machen, sondern dass wir Gesten sind.“ (ebd., S. 210)

In dem Video „The Gestures of the Professor“ von Fred Forest (1972) spezifiziert Vilém Flusser die menschliche Geste „as a motion of the body which articulates an interiority which is conditioned by forces“ (07:15). Diese Kräfte können z.B. physiologisch, psychologisch oder soziologisch sein. Dieser objektiv gesehenen Konditionierung der Geste steht die subjektive Wahrnehmung gegenüber, dass die eigene Geste frei ist und eine Artikulation des freien Willens darstellt. „The gesture is an articulation of the specific character of human being. It articulates, it expresses, it publishes what is (…) called the dialectics of human being“ (09:12).

Flusser unterteilt in 4 Kategorien von Gesten (10:42):

1) Die Geste der Arbeit: Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Geste durch das Hindernis und das Hindernis durch die Geste verändert wird (Beispiel: Geste des Schreibens).

2) Die Geste der Kommunikation: Eine Geste, die versucht, eine Leere zwischen Individuen zu überbrücken.

3) Das „Ritual“: Eine sakrale Geste, die eine Innerlichkeit gegenüber dem Nichts, einer Leere ausdrückt.

4) Die zufällige Geste, „the act gratuit“, eine völlig desorganisierte und unbewusste, spontane Geste.

Originalartikel von Andreas Ströhl aus dem Englischen Übersetzt

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de/gesture.txt · Zuletzt geändert: 2021/11/05 17:51 von 127.0.0.1