Der Mensch ist ein mit Makeln behaftetesWe- sen, eine Spezies, die allerlei Defizite und Unzulänglichkeiten aufweist. Vilém Flussers Konzept der Anthropologie speist sich aus einer korrespondierenden Theorie der Abstraktion, die Analysen von Kulturtechniken,Technologien sowie einer Abfolge evolutionärer Schritte einschließt, mittels derer der Mensch neue „abstrakte Universen“ entwickelt, um seinem eigenen biologisch vorherbestimmten Untergang zu entgehen. Flusser nennt dies die „Neg-Anthropologie“: Sie bietet die Möglichkeit, aus dem defektbehafteten natürlichen Zustand heraus in die Freiheit zu gelangen. Die Freiheit, eine komplexe Flusser’sche Kategorie, die auch die Verantwortung umfasst, bezieht sich nicht nur auf die Vorstellung (Projektion) abstrakter, nulldimensionaler technischer Bilder und auf interpersonelle Verbindungen, sondern auch auf die organischen Begrenzungen des Körpers, die es zu überwinden gilt – sofern wir dies wollen.
Sowohl Cyborgs als auch die aktuellen Praktiken des Bodyhacking wären womöglich auf Flussers Interesse gestoßen, da er sich explizit für die „Manipulation des unterworfenen Körpers“ aus- sprach: „Das eigentliche Ziel aller Körperentwürfe ist, den Körper so zu gestalten, daß man sich seiner bedienen kann […].“ (Vom Subjekt zum Projekt, 1994, S. 98) Diese Argumentation erinnert an aktuelle Diskurse zum Trans- oder Posthumanismus und erfordert weitere Debatten zu Flussers eigenen Ideen zur Sinneswahrnehmung und seiner Philosophie des Körpers. Flussers anthropologischesWerk nimmt seinen Anfang jedoch bereits einige Jahrzehnte zuvor, mit seinen Reflexionen zu brasilianischen Kulturen und einer neuen Menschheit in seinemWerk Brasilien oder die Suche nach dem neuen Menschen (1994).